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IP-Newsletter | Winter 2016/17
PATENTE
Lehre von der Äquivalenz weiterhin gegenwärtig in Korea
Young Hwan YANG, H. Joon CHUNG, Woo Seok KIM
Die Äquivalenzlehre schützt den Patentinhaber vor Wettbewerbern, die den Erfindungsgedanken verwenden und zugleich den wortsinngemäßen Wortlaut der Ansprüche genau vermeiden. Nach der Äquivalenzlehre wird der Verletzungsbereich über die wortsinngemäße Abgrenzung der beanspruchten Merkmale ausgedehnt, um „Äquivalente“ zu erfassen. Somit kann, selbst wenn ein Ersatzmittel eines Beteiligten außerhalb des wortsinngemäßen Schutzbereichs eines Anspruchs liegt, ein Beteiligter immer noch für eine Verletzung haften, wenn sein Ersatzmittel als äquivalentes Mittel zur beanspruchten Erfindung angesehen wird. Während der Umfang der Äquivalenzlehre in Korea noch relativ neu ist und in den letzten Jahren mehreren Veränderungen unterlag, bestätigt die jüngste Rechtsprechung, dass die Äquivalenzlehre weiterhin gangbar bleibt und von einigen Gerichten sogar möglicherweise weitgehender behandelt wird als zuvor.

Wesentlichkeitstest

In einem der früheren Fälle zur Äquivalenzlehre in Korea stellte der Oberste Gerichtshof 2009 einen zweistufigen Test zur Ermittlung von Äquivalenten bereit: a) Ermitteln, ob das angegriffene Produkt und das beanspruchte Produkt einander gleich sind, was die Lösung des technischen Problems betrifft, und b) Identifizieren, ob jedes Austauschmittel in dem angegriffenen Produkt wesentlich oder unwesentlich für die beanspruchte Erfindung (angesichts des Stands der Technik, dem geläufigen Fachwissen zum Anmeldetag und der Patentbeschreibung) ist. Ein angegriffenes Produkt oder Verfahren wird nur dann als äquivalent zur beanspruchten Erfindung angesehen, wenn sein Austauschmittel als unwesentlich angesehen wird.

Leider stellt der Test des Obersten Gerichtshofes keine ausreichende Orientierung über die Umsetzung des Tests bereit, zum Beispiel indem die Unterschiede zwischen wesentlichen und unwesentlichen Merkmalen definiert werden.

Gleiches-Kernkonzept-Test

Möglicherweise unter Anerkenntnis der Mängel des Wesentlichkeitstests schien der Oberste Gerichtshof diesen Test anschließend in 2014 zu verwerfen. In einem Fall aus diesem Jahr formulierte das Gericht einen neuen Test zur Ermittlung von Äquivalenten, welcher keine Bezugnahme zum früheren Test enthielt. Danach stellt im Rahmen der Verletzung ein angegriffenes Produkt ein Äquivalent dar, wenn jegliche in dem angegriffenen Produkt verwirklichten Unterschiede unerheblich sind und das angegriffene Produkt als das „gleiche technische Kernkonzept wie die beanspruchte Erfindung ausnutzend erachtet wird.

Leider leidet der Gleiches-Kernkonzept-Test zum Teil unter denselben Mängeln wie der Wesentlichkeitstest, denn die Details bleiben unklar. Beispielsweise kann es problematisch sein, die Unerheblichkeit zu ermitteln, weil geringe Unterschiede oder Änderungen mitunter in erheblichen Wirkungs- oder Leistungsverbesserungen resultieren können und in solchen Fällen das angegriffene Produkt oder Verfahren nicht als äquivalent erachtet werden sollte, selbst wenn das technische Konzept „im Kern“ gleich ist.

Jüngster Fall zur Äquivalenzlehre

In einem jüngsten Verletzungsfall wendete das Oberlandesgericht Seoul im Wesentlichen den Test des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 2014 zur Ermittlung von Äquivalenten an und fügte insbesondere eine detaillierte Analyse der Äquivalenzlehre ein, welche die Aufmerksamkeit der juristischen Fachwelt in Korea auf sich gezogen hat. Zum einen scheint die Urteilsbegründung die Tür offen gelassen zu haben für die Möglichkeit, dass ein angegriffenes Produkt nach der Lehre von der Äquivalenz verletzen kann, selbst wenn ein Merkmal der beanspruchten Erfindung (weder wortsinngemäß noch unter äquivalenten Gesichtspunkten) vollständig fehlt, solange die Streichung (des Merkmals) dem Fachmann nahelag.

Ausblick auf die Lehre von der Äquivalenz in Korea

Die jüngste Anwendung des Gleiches-Kernkonzept-Tests durch das Oberste Gericht scheint den Bereich von möglichen Äquivalenten ausgehnt zu haben, weil die Entscheidung expansiv so ausgelegt werden kann, dass sowohl im Wesentlichen äquivalente, aber den Wortsinn der Patentansprüche vermeidende Produkte als auch gleiche wesentliche Bestandteile wie die beanspruchte Erfindung teilende, aber auf wesentlich andere Weise funktionierende oder zu einem wesentlich anderen Ergebnis führende Abwandlungen mitumfasst werden. Falls der jüngste Fall als Orientierungshilfe dienen kann, dann sollten Patentinhaber neu abschätzen, ob Produkte oder Tätigkeiten in Korea, die ihre Patente nicht wortsinngemäß verletzen, dennoch eventuell unter Äquivalenzgesichtspunkten verletzen könnten, da der derzeitige Test des Obersten Gerichtshofes weit gefasst ist und weiterhin nicht ganz klar bleibt. Gewiss wird erwartet, dass die Gerichte die rechtlichen Kriterien zum Ermitteln von Äquivalenten künftig weiter verfeinern werden.
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